Märkische Allgemeine Potsdam 10.02.2007 In zwei Welten Mit schwarzem Hut und dunkler Brille: Mitch Ryder und Engerling rocken im Lindenpark PETER DEGENER Mitch Ryder lebt zwei verschiedene Leben, verfolgt zwei verschiedene Karrieren. Einen Großteil des Jahres reist er durch die USA und spielt seine 40 Jahre alten Rock ’n’ Roll- und Soul-Hits in Retro-Shows vor einem Publikum, das Mitch Ryder nur als den Frontsänger der "Detroit Wheels" kennt. Diese Auftritte gibt er für sein täglich Brot. Die restliche Zeit verbringt er in Europa, viel davon sogar in Berlin, denn hier ist Mitch Ryder noch Künstler, bringt alle paar Jahre ein neues Album mit der Ost-Berliner Blueslegende "Engerling" heraus und spielt Shows in ganz Europa. Am Donnerstagabend trat Mitch Ryder im Lindenpark auf. Die Diskrepanz zwischen beiden Welten wurde bei diesem Auftritt offenbar, als Ryder den Song "Jenny Take A Ride" ankündigte und damit sein erstes Set beendete – es herrschte ahnungslose Stille im gut gefüllten Saal, der bis dahin die meisten Songs mit lautstarkem Johlen aufgenommen hatte. "Jenny Take A Ride" war im Jahr 1965 der Durchbruch für Ryder. Sein Name stand für die nächsten zwei Jahre für die Verbindung des Detroiter Motown-Souls und dem Rock der Motorstadt. Ryder war weiß und sang doch so energiegeladen wie James Brown. In Europa begann sein Ruhm, als er in den USA bereits keine innovative Rolle mehr einzunehmen wusste. Ein Auftritt im WDR-Rockpalast im Jahr 1979 machte ihn in Deutschland bekannt – bei jener Essener Rocknacht führten die offenen Konflikte zwischen ihm und seiner Band zu einem grandiosen Auftritt, der erst vor kurzem als DVD veröffentlicht wurde ("Mitch Ryder – At Rockpalast"). Fast 30 Jahre später verkaufen sich die Alben von Ryder mäßig und werden seit langem schon nicht mehr in den USA veröffentlicht. Doch seine Fangemeinde hierzulande ist groß, nicht nur alternde Rocker und ihre Bräute, auch junges Volk wollte ihn in Potsdam sehen. Im Januar 2006 erschien sein neuestes Album "Acquitted Idiot", welches auf der mittlerweile zehnten Tour mit Engerling vor allem in Deutschland beworben wird. Mit schwarzem Hut und dunkler Sonnenbrille bewegte sich Ryder nur noch gemächlich auf der Bühne. Er schlug das Tamburin und ließ seine Stimme wirken, während das Quintett von Engerling bei kristallklarem Klang und hervorragender Abmischung Blues und Rock, Balladen und schnelle Stücke anbot. Er sang seinen Song "War", der die Psychologie des Krieges entlarven will und schließlich den Stones-Klassiker "Gimme Shelter", "die Hymne einer ganzen Generation", wie Ryder sagte. "Die jungen Leute damals mussten sich um vieles Gedanken machen, vor allem um den Krieg in Vietnam und die Bürgerrechtsbewegung", erklärte er und wirkte resigniert. Ryder lebt zwar noch immer in Detroit, scheint aber doch immer wieder ins deutsche Exil, in sein Künstlerleben ausreißen zu müssen. |