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Berlin 6.2.2005 |
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Eine Stimme mit großer Wirkung
Von Tom Bullmann
Osnabrück
Es ist ein wenig so, als stünde dort ein Zombie auf der Bühne der Lagerhalle: Getarnt mit einem schwarzen Hut und einer großen
Sonnenbrille, bewegt sich die Gestalt am Mikrofon sehr reduziert, irgendwie kantig und nicht wie aus dieser Welt.
Vor allem nicht wie aus der Rock'n'-Roll-Welt, in der das Publikum bevorzugt agile Performer liebt, die nicht nur etwas für die Ohren bieten. Zur Ehrenrettung von Mitch Ryder, der diese Assoziation hervorruft, muss gesagt werden: Dem Sänger bleibt momentan keine andere Wahl, als sich "hüftlahm" zu geben, denn er musste sich vor nicht allzu langer Zeit einer Operation unterziehen, bei der ihm eine neue Hüfte eingesetzt wurde. Aber weil der Shouter aus Detroit ein echter Rocker ist, geht er trotz Handicap auf Tournee.
Aber auch ohne Hüpf-Eskapaden hat Mitch Ryder genug zu bieten, denn seine Stimme reicht aus, um die Lagerhalle knapp zwei Stunden
aufs Beste zu unterhalten. In den 26 Jahren, die vergangen sind, seitdem Ryder in Deutschland durch einen WDR-Rockpalast-Auftritt jäh
populär wurde, hat sein knarziges Gesangsorgan kaum an Wirkung verloren. Noch immer sorgen seine Stimmbänder für Gänsehaut - wenn sie
beispielsweise in einem ruhigeren Bluessong zu einem beängstigenden Urschrei genötigt werden: als würde ein Vulkan explodieren. Das
sind Ausbrüche, gegen die selbst Joe Cockers berühmt-berüchtigte Kreisch-Eruptionen verblassen. Auch die Rolling Stones lässt Ryder
ziemlich alt aussehen, denn seine Versionen von "Gimme Shelter" und "Heart of Stone" haben mehr urwüchsige Kraft, als Jagger und Co.
heutzutage zu bieten bereit sind.
Natürlich darf der Ryder-Klassiker "Ain't Nobody White (Can Sing the Blues)" nicht im Programm fehlen. Eingeleitet von der Frage, ob
jemand im Publikum alt sei, widmet er den Song voller Inbrunst all den "Youngstern" im Saal. Begleitet wird er dabei von einer
kompetenten deutschen Band, die sich einst in der DDR als Engerling einen Namen machte und jetzt zusammen mit dem amerikanischen Gast-
Gitarristen Steve Hunter bravourös rockt und groovenden Soul aus den Instrumenten zaubert. Die treibenden Medleys "Jenny Take a Ride"
und "Devil With a Blue Dress on" verfehlen ebenso wenig ihre Wirkung wie diverse neue Songs vom aktuellen Album "A Dark Caucasian
Blue", in denen Mitch Ryder eher dem Blues frönt.
Den Zuschauern gefällt die Show so gut, dass sie dem Sänger, der nach dem Konzert am Krückstock durchs Foyer zum wartenden Auto geht,
noch einen Extra-Applaus spendieren.
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